aaa 343: Brand im Hafen

Posted: Juni 26th, 2013 | Author: | Filed under: Home, Texte | Tags: , , | Kommentare deaktiviert für aaa 343: Brand im Hafen

Die neue anti-atom-aktuell Nr. 343 ist erschienen. Schwerpunkt der neuen Ausgabe ist der Brand im Hamburger Hafen am 01.Mai 2013. Einen Überblick über die Gesamtausgabe gibt das Inhaltsverzeichnis. Auch wir haben einen Artikel dazu beigesteuert, den wir nun auch hier veröffentlichen.


Der Hamburger Senat spielt mit dem Feuer

am 1. Mai schlidderte Hamburg nur knapp an einer Katastrophe vorbei.

Der erste Mai ist ein Feiertag – auch in Hamburg. Neben den Demonstrationen zeichnet sich dieser Tag vor allem dadurch aus, dass viele Menschen das erste Mal im Jahr im Freien grillen. In diesem Jahr kamen noch rund 100.000 Christen hinzu, die den 34. Evangelischen Kirchentag feierten.

Direkt am Hafen, in der Hafencity fand mit mehr als 50.000 Teilnehmer_innen der Eröffnungsgottesdienst statt, und viele Menschen blieben auch nach Ende der Predigt für den Abend der Begegnung im Hafen. Der Hamburger Pastor Thomas Jeutner erinnert sich im Publik Forum „Vor allem war es eng,…, und dann immer diese Kante von der Kai -Anlage….da hatten die Menschen zu wenig Platz, vor allem waren keine Fluchtwege einkalkuliert.“ Rund 1200m vom Kirchentagsgelände, und nur rund 600m von den nächsten Häusern auf dem dichtbesiedelten Stadtteil Veddel brach gegen 19:30 Uhr ein Feuer auf der Atlantic Cartier der Reederei ACL aus. Es sollte sich in den nächsten Stunden zum größten Schiffsbrand im Hamburger Hafen der letzten Jahre entwickeln.

Das Besondere an diesem Schiff ist seine Konstruktion als ConRo Schiff, welches über Deck Container transportiert, und unterdecks, einer Fähre gleich, Fahrzeuge aufnehmen kann, die in mehreren Etagen dicht hintereinander geparkt werden. Nach Auskunft der Feuerwehr brach aus bislang ungeklärter Ursache dort auch das Feuer aus. Als gegen 20.15 die ersten Feuerwehrleute am Schiff eintrafen, hatten sie lediglich die Information, dass dort Autos brennen würden. „Das Vorhandensein von Gefahrgut wurde im Zuge der ersten Erkundung auf dem Schiff durch Inaugenscheinnahme der geladenen Container von den Einsatzkräften erkannt.“ (Senatsdrucksache 20/8035) Gleichzeitig musste „aufgrund der starken Hitzeentwicklung der Innenangriff abgebrochen werden“ (ebd.) Und nach „erfolgtem Rückzug der Einsatzkräfte wurde der bisher genutzte Zugang (…) vollständig geschlossen…“ (ebd.)

Was sich zunächst als ein PKW-Brand darstellte, wie er der Hamburger Feuerwehr sicherlich nicht unbekannt ist, das begann sich gegen 20:30 Uhr zu einem sehr ernsten Problem auszuwachsen. Denn die „in Augenschein“ genommenen Gefahrgüter waren rund 4 Tonnen Munition, zweieinhalb Tonnen Raketentreibstoff, 180 Tonnen Ethanol, sowie 41 weitere Posten Gefahrgut in 33 Containern. Besondere Brisanz ergab sich aus Gefahrgütern der Klasse 7, also radioaktiven Substanzen: an Bord waren auch frische Brennelemente für Atomkraftwerke mit einem Gewicht von 11 t, und: rund 8,8t Uranhexafluorid (brutto, also das Gewicht der Behälter mitgerechnet)

Für die Feuerwehrleute vor Ort war das deutlich einige Nummern zu groß. Sie zogen sich erst einmal zurück und sorgten dafür, dass für Hamburg ein Großeinsatz ausgelöst wurde. An den weiteren Löscharbeiten, die sich bis 11.41 Uhr am folgenden Tag, also rund 15,5 Stunden, hinzogen, nahmen 296 Feuerwehrleute mit 76 Fahrzeugen teil, ein Löschroboter, zwei Löschboote, drei Polizeiboote und drei Schlepper mit Löschvorrichtungen. Außerdem wurde das bundesdeutsche Havarikomando informiert und Feuerwehrspezialist_innen aus Cuxhaven und Brunsbüttel angefordert. Erst gegen 05:11 Uhr am Morgen des zweiten Mai hatten die Löschkräfte den Brand unter Kontrolle.

Der Leiter der Feuerwehrabteilung 4 begab sich mit seinem Stab in den Lageraum des zentralen Katastrophenschutzdienststabes und informierte gegen 21.14 den Innensenator, den Polizeichef, und die Leitung des Katastrophenschutzes. Gleichzeitig fand ab 22:00 Uhr der Abendsegen des Kirchentages mit rund 12.000 Teilnehmer_innen in der HafenCity statt. Weder die Menschen dort, noch die Bewohner_innen auf der Veddel und in Wilhelmsburg, die beim an diesem Abend herrschenden Nord-Westwind am stärksten einer Bedrohung ausgesetzt waren, wurden über die bedrohliche Situation informiert. Auch hier gab es keinerlei Pläne, wie die Bewohner_innen hätten evakuiert werden können. Erst um 23:08 Uhr konnte der erste Gefahrgutcontainer von Bord gehoben werden, und es dauerte noch bis 03:35 Uhr, bis der Letzte von Bord war.

Wie so oft, wenn es um Störfälle in Atomanlagen geht, kamen am 1. Mai mehrere ungünstige Faktoren zusammen. Nicht nur die zahlreichen Gefahrgüter, die Normalsterbliche niemals nebeneinander stellen würden (wie zum Beispiel Brennelemente neben Munition) erschwerten die Löscharbeiten. Zwei der drei Löschboote waren außer Dienst, die Vorräte an Lösch-CO2 waren so gut wie aus. Hinzu kam die Tatsache, dass schlichtweg keine Hafenarbeiter zur Hand waren, um die Containerbrücken zu bedienen – es war ja schließlich 1. Mai! Nachdem alle Versuche fehlgeschlagen waren, Mitarbeiter_innen des O´Swaldkais auf zu treiben, wurde schließlich der Kranfahrer einer Leiharbeitsfirma mit Blaulicht zu Hause abgeholt und in den Hafen gefahren. Hätten anti-Atom-Gruppen bei einer ihrer zahlreichen Anfragen an die Hamburger Senate zu dem Themenkomplex Atom-Umschlag im Hafen ein solches Szenario an die Wand gemalt, es wäre mit Sicherheit als vollkommen abwegig abgetan worden.

Nachdem die Container von Bord gehoben waren, befanden sich – wie erst eine kleine Anfrage fast einen Monat nach dem Unfall ergab – noch eine ganze Reihe von Gefahrgütern an Bord; unter ihnen jene, die nicht in Containern gelagert wurden, sondern auf Grund der besonderen Bauweise des Schiffes auf LKWs in den Fahrzeugdecks geladen waren – unter anderem UF6 Heels, also entleerte Behälter für angereichertes UF6, in denen sich auch nach Leerung immer noch einige Kilogramm Uranhexafluorid als Rest befinden. Glücklicherweise erreichte das Feuer im Fahrzeugdeck nicht den LKW mit diesen Heels. Und es war ein riesengroßes Glück, dass es sich nicht um volle Behälter handelte, wie beispielsweise am 09. Juni 2012, an dem die Atlantic Cartier 18.480 kg angereichertes UF6 in Hamburg an Bord genommen hatte. (Quelle SAND) Im Gegensatz zu den Containern, die per Kran von Deck genommen wurden, hätte es keine Möglichkeit gegeben, die LKWs mit den Behältern von Bord zu manövrieren: die Ladeklappe war zu, und sie musste auch geschlossen bleiben, um dem Feuer nicht frische Luft zu geben.

Über all diese Vorgänge, den Ablauf des Brandes, und die dabei entstandenen Gefahren ließ der Hamburger Senat die Öffentlichkeit im Unklaren. Zum Brand äußerte sich lediglich der Pressesprecher der Feuerwehr, damit schien die Sache für den Senat erledigt zu sein. Nur durch eine kleine Anfrage aus der Opposition kam zwei Wochen nach dem Brand heraus, dass tatsächlich Uranhexafluorid und Brennelemente an Bord des Schiffes waren. Und es brauchte noch eine weitere Anfrage, um unter anderem den Ablauf der Löscharbeiten im Detail und die Teilnehmer_innenzahlen der Kirchentagsveranstaltung zu erfahren. Erst in einer Sondersitzung des Innenausschusses, fast einen Monat nach dem Brand, äußerte sich der Innensenator zu dem Geschehen, nicht ohne dass vorher erneut ein Feuerwehrsprecher mehr als eine Stunde lang technische Details der Brandbekämpfung referiert hatte.

Für den Hamburger Senat (SPD) ist die Sache klar. Es ist doch nix passiert, wir haben eine tolle Feuerwehr, die jetzt ein beinahe ausgemustertes Löschboot behalten kann. Und im Hafen gibt es noch viel gefährlichere Sachen als UF6, so ist das nun mal als Hafen von Weltrang. Den Vergleich mit Bremen, wo ja zumindest Kernbrennstoftransporte verboten sind, weist die SPD zurück, denn schließlich spiele man ja in einer Liga mit Rotterdam und Antwerpen. Dort würden letztlich die Sektkorken knallen, wenn Hamburg sich aus dem lukrativen Atomgeschäft zurückzöge – ganz abgesehen vom Imageschaden, den der Hamburger Hafen dadurch erleiden würde! Ein Bedenken, das die SPD mit CDU und FDP teilt. Die Risiken, denen die Bewohner_innen der hafennahen Stadtteile Wilhelmsburg und Veddel ausgesetzt sind, tauchen in dieser Darstellung nicht einmal als Güterabwägung auf. Ein Grund mehr für die Gruppen im Hamburger anti-Atom-Plenum, die Bevölkerung dieser Stadtteile in den kommenden Monaten auf eigene Faust zu informieren!

Hamburg – am Puls der internationalen Atomindustrie

Vollkommen unter den Tisch fällt in der Einschätzung der SPD auch die Rolle des Hamburger Hafens als Deutschlands wichtigste Drehscheibe im internationalen Atomgeschäft. 117 meldepflichtige Atomtransporte in 2012 bedeuten, dass fast jeden dritten Tag ein solcher durch Hamburg geht, und beinahe wöchentlich wird dabei UF6 am O´Swaldkai von den Schiffen der Atlantic Container Line (ACL) umgeschlagen. Diese transportieren angereichertes UF6 aus den Anreicherungsanlagen in Gronau und Almelo in die amerikanischen Brennelementefabriken von Westinghouse und Hitachi, und auf dem Rückweg bringen sie neben den (fast-)entleerten Behältern (Heels) auch Uranprodukte der amerikanischen Konversionsanalagen für die Anlagen in Gronau und Almelo, aber auch die Brennelemtefabrik in Lingen mit. Daneben werden Brennelemente von Westinghouse aus dem Schwedischen Vesteras und solche der Areva aus Lingen verschifft.

Transporte dieser Art stellen weltweit die Versorgung der AKW mit frischen Brennelementen sicher, sie sind eine Art Pulsschlag der Atomindustrie. Und da die Anlagen in Almelo, Gronau und Lingen in den vergangenen Jahren stark ausgebaut wurden, steigt die Zahl dieser „Versorgungstransporte“ durch den Hambuger Hafen von Jahr zu Jahr. Nur an wenigen Orten wird der Etikettenschwindel hinter dem Begriff Atomausstieg so deutlich wie im Hamburger Hafen. Zwar sind 8 AKW abgeschaltet worden, doch neun weitere sind noch am Netz, und werden jene Menge Atomstrom liefern, den die abgeschalteten Altreaktoren nach rot-grünem Atomkonsens noch hätten liefern dürfen. Es werden weiterhin Hermesbürgschaften für Reaktoren in aller Welt erteilt; ein Endlagerfindegesetz wird aggressiv durchgesetzt. Und wie oben bereits beschrieben expandieren die westdeutschen Atomfabriken.

All dies fällt bei der Einschätzung des Hamburger Senats unter den Tisch. Und hat man die atompolitische Dimension des Brandes erst einmal unsichtbar gemacht, lässt sich ganz hervorragend die Arbeit der Feuerwehr loben. Frei nach dem Motto: es ist doch alles gut gegangen – bis es einmal schief geht!

Neben dem Verschweigen der Gefahren von Atomtransporten durch den Hamburger Hafen und dem Ignorieren der atompolitischen Rolle des Hafens muss an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass die Stadt Hamburg selbst Profit aus dem Atomgeschäft zieht, und dies gleich mehrfach. Zum Einen gehören die Kais, an denen der Großteil der Urantransporte umgeschlagen wird (Altenwerder, Burchardkai, Unikai) zur städtischen Hafengesellschaft HHLA, zum Anderen besitzt die Stadt Hamburg einen erheblichen Anteil an den Aktien der Hapag Llyod, die jedes Jahr zahlreiche Urantransporte von Hamburg nach Kanada und zurück durchführt (die Schiffe Toronto Express und Montreal Express).

Viele Hamburger_innen denken aktuell noch, dass nach dem Abschalten der in der Nachbarschaft liegenden AKW Krümmel und Stade, und dem Verkauf der HEW an Vattenfall, der Atomausstieg die Sache Anderer ist. Es wird seine Zeit brauchen, bis die Bewohner_innen dieser Stadt begreifen, dass Atomausstieg in Hamburg bedeutet: Stoppt die Atomtransporte durch den Hamburger Hafen – Entwidmung sofort!

Nach dem Brand hat es bereits zwei Treffen gegeben, an denen fast alle in Hamburg aktiven anti-AKW Gruppen beteiligt waren. Neben der guten Recherche von SAND, und den Anfragen der Linken, deren Ergebnisse es nun gilt in die Öffentlichkeit zu tragen, wird sich zeigen ob es gelingen kann, Versorgungstransporte direkt anzugehen, und den politischen Druck auf die SPD hin zu einer Entwidmung des Hafens für Urantransporte zu erhöhen. Und natürlich gilt es auch, die Forderung nach einer sofortigen Stilllegung der Atomfabriken in Gronau und Lingen auch hier im Norden stärker als bisher sichtbar zu machen.

Es gibt viel zu tun, und wir sollten damit nicht warten, denn der Hamburger Senat spielt derweil mit dem Feuer.

Der Artikel erschien zuerst in der anti-atom-aktuell Nr. 343 am 24.6.2013.


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