Begriffe am Pranger

Posted: Mai 8th, 2013 | Author: | Filed under: Home, Texte | Tags: , | Kommentare deaktiviert für Begriffe am Pranger

Einleitung: Diese drei Texte sind eine Ergänzung zu unserer dritten Veröffentlichung „Atommüll ohne Ende – Zur Notwendigkeit von Wortklauberei als Intervention“ unsere Textreihe „Für eine Gesellschaft, in der Atomanlagen nicht möglich sind“. Es sind längere Versionen der Printversion [pdf]. Wir haben hier drei weitere Begriffe aufgenommen: Restlaufzeit, Grüne Wiese und Grenzwerte. Der ganze Flyer als pdf


Restlaufzeit

Laut Duden ist der Rest „….etwas, was von etwas weitgehend Verschwundenem, Geschwundenem noch vorhanden ist . ..“ Im Zusammenhang mit dem Naturschutz wäre der Rest also auf jeden Fall schützenswert weil bedroht. Meistens jedoch stören Reste, und werden abgeschnitten oder aufgeräumt, aufgegessen oder schnell verbraucht.

Was wird suggeriert?

Bei der zentralen Wortschöpfung des „Atomkonsenses“ von 2001, der Restlaufzeit , wird also vermittelt, dass die verbliebene Laufzeit von Atomkraftwerken nicht mehr der Rede wert sei, ja das Ende der Atomkraft unmittelbar bevor stünde.

Was wird verschleiert?

Schaut mensch sich den Bundesdeutschen Atom-Kraftwerkspark von 2001 an, so wird schnell deutlich das SPD und Grüne als VertreterInnen dieses Begriffes eine sehr eigenwillige Interpretation des Dudens verfolgen. Die meisten bundesdeutschen AKW hatten nach dem Atomkonsens im Jahr 2001 noch nicht, oder gerade 50% der ihnen zugestandenen Laufzeit hinter sich, das neueste Kraftwerk, Neckarwestheim 2, erst rund ein Drittel. Von „weitgehend geschwunden“ konnte also nicht die Rede sein.

Durch den Begriff der Restlaufzeit wurde vor allem verschleiert, dass durch den Atomkonsens der Weiterbetrieb der AKW für weitere zwei Jahrzehnte festgeschrieben wurde. Doch damit nicht genug. Im Gegensatz zu fixen Abschaltdaten, wurde eine Reststrommenge garantiert, die einem Betrieb der AKW von 32 Jahren gleichkam. Statt „Restlaufzeit“ wäre der Begriff „Betriebsgarantie“ eine wesentlich genauere Beschreibung des Sachverhaltes.

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Grüne Wiese

Ein zentrales Problem beim Betrieb von Atomanlagen, ist die Tatsache, dass gesundheitsgefährdende Stoffe produziert werden, die für schier unüberschaubare Zeiträume für Menschen lebensbedrohlich sein werden. Auch ohne einen GAU wird im „Normalbetrieb“ das Innere eine AKWs so stark verstrahlt, das Menschen für viele tausend Jahre vor diesem radioaktiven Inventar geschützt werden müssen.
Symbolisiert wird diese Bedrohung architektonisch durch die großen Kühltürme und massiven Stahlbetonkuppeln der gängigen Druckwasserreaktoren. Kathedralen der Moderne gleich drücken sie das Heilsversprechen des Atomzeitalters aus, die heute mehrheitlich als Bedrohung empfunden wird.

So sehr den BetreiberInnen von Atomanlagen zu Beginn der 70er Jahre noch daran gelegen war, derartige Kathedralen der Moderne zu errichten, so sehr möchten sie heute suggerieren, das der Betrieb von Atomanlagen nichts anderes sei, als der eines jeden anderen Kraftwerkes, was nach Ende seiner Betriebszeit abgerissen wird, und „verschwindet“. Dieses Anliegen verdichtet sich in der Figur der „Grünen Wiese“ den die BetreiberInnen seit Jahren versuchen für die Zeit nach dem Betrieb eines AKWs zu etablieren.

Was wird suggeriert?

Vom Kernkraftwerk zur „Grünen Wiese“ – Stilllegung und Rückbau des Kernkraftwerks Würgassen heist folgerichtig die Broschüre des Atomkonzerns E-on, und die Broschüre zum Abriss des AKW Stade präsentiert als letztes Kapitel unter der Überschrift „Die Grüne Wiese“ ein Foto auf dem unter weitem blauem Himmel Schafe auf einer Grünen Wiese weiden.

Sowohl in Text als auch in Bild wird dabei versucht der Eindruck zu erwecken das der Zustand des Kraftwerksgelände nach dem Abriss alles andere als eine Industriebrach sei, und selbst für unschuldige Schafe eine Idylle bietet. Alles also gar nicht so schlimm: wenn wir weggehen räumen wir auf, machen schön ordentlich sauber und pflanzen sogar Blümchen ist die massage solcher Artikel und Broschüren. Haben AKW ihre „Restlaufzeit“ ausgeschöpft haben, verschwinden sie einfach.

Was wird verschleiert?

Mehr als ein Jahrzehnt bevor Schafe genötigt werden eine Industriebrache zu beweiden, findet eine entscheidende atomtechnische Rochade statt. Mit dem Abtransport der letzten Brennelemente in ein „Zwischenlager“ oder die WAA werden rund 98% des radioaktiven Materials schon vor dem Abriss aus dem AKW entfernt. Wie auch die Brennelemente des bisherigen Betriebs werden sie noch viele tausend Jahre eine tödliche Gefahr für Menschen und Schafe darstellen. Da sie dies aber an einem anderen Ort als dem Kraftwerksstandort tun, tauchen sie von nun an in der Abrissdebatte nicht mehr auf. Aus dem Auge aus dem Sinn könnte mensch zu diesem Hütchenspieler Trick sagen.

Aus der AKW-AbrissProblematik wird durch diese Verschiebung des Problems die „Endlager Debatte“, doch die findet an ganz anderem Ort, mit ganz anderen Akteuren statt.

Nachdem das Problem am Kraftwerksstandort um 98% geschrumpft wurde, können nun Techniker und Ingenieure anrollen, die mit allerhand neuentwickeltem Gerät das Kraftwerk kurz und klein sägen, in Kisten packen und in einer gängigen Industriehalle (Zwischenlager) ordentlich aufgereiht abstellen. Nach rund zehn Jahren kommen schließlich medienwirksam die Bagger, keine fünf Jahre danach die Schäfchen.

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Grenzwerte

Grenzen, durch Schlagbäume, Zäune oder gar Mauern gesichert, stellen harte geografische und soziale Einschnitte dar. Was auf der einen Seite gilt, Pass, Währung, Sprache, verliert beim Überschreiten der Grenze seinen Wert. Grenzen sind Orte an denen vieles, ja manchmal fast alles anders wird, für Flüchtlinge gestern und heute entscheiden sie nicht selten über Leben und Tod. Auf diese elementare Erfahrung greift der Begriff Grenzwert zurück. Ähnlich wie bei zwischenstaatlichen Grenzen, werden bei der Überschreitung von Grenzwerten Maßnahmen ergriffen und die „Ausbreitung“ eingedämmt.

Was wird suggeriert?

Alle Strahlenwerte auf der einen Seite des Grenzwertes gelten als lebensbedrohlich und gefährlich, während die Messwerte unterhalb der Grenzwerte gemeinhin als ungefährlich gelten.

Was wird verschleiert?

Strahlenmedizinisch gibt es so etwas wie ungefährliche Strahlung nicht. Schon kleinste Strahlendosen können zu Erkrankungen führen. Mit dem Anstieg von radioaktiver Strahlung steigt lediglich das statistische Risiko einer Erkrankung. Unterhalb der Grenzwerte ist mensch daher keinesfalls sicher, das Risiko zu erkranken wird jedoch als hinnehmbar gering eingeschätzt. Diese Einschätzung nehmen zumeist jedoch nicht die Betroffenen vor, sondern durchaus politisch motivierte Gremien.

Der internationale Grenzwert von 20 Millisievert im Jahr, der vor dem Mehrfachgau in Fukushima nur für die Mitarbeiter_innen in AKWs als akzeptabel galten, gilt nach dem GAU plötzlich auch für die Schulkinder der Region (vorher 1 Millisievert), die aufgrund ihres Wachstums besonders gefährdet sind. Es wundert daher nicht, dass bereits ein Jahr nach dem GAU, trotz Unterschreitens der Grenzwerte, bei einer Untersuchung von 4000 Kindern in der Region, rund 30% auffällige Veränderungen an der Schilddrüse aufwiesen.

Grenzwerte dienen also vor allem dazu die Bevölkerung in Sicherheit zu wiegen, und das Unterlassen von Schutzmassnahmen zu legitimieren. Würde mensch sich in Japan nach dem GAU an die alten „Grenzwerte“ halten, müssten weitaus größere Landstriche evakuiert werden, könnten die Folgen des GAUs nicht so einfach herunter gespielt werden. In Deutschland dienen Grenzwerte aktuell vor allem dazu radioaktiv verstahlten Abrissmüll an den alten AKW Standorten „frei zu messen“. Freigemessener Schrott wie Stahl und Beton kann dann wieder eingeschmolzen werden, oder für den Straßenbau verwendet werden. Ziel ist es dabei die Menge des aufwendig endzulagernden Materials zu verringern, und die Abrisskosten zu senken.

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