Kein AKW in Lubiatowo – oder anderswo

Posted: September 28th, 2012 | Author: | Filed under: Home, Texte | Tags: | Kommentare deaktiviert für Kein AKW in Lubiatowo – oder anderswo

Einige Eindrücke vom ersten Anti-AKW-Camp gegen das polnische Atomprogramm.

Seit einigen Jahren geistern Pläne für den Bau neuer AKW in Polen durch die Medien. Mittlerweile nimmt das Vorhaben konkrete Formen an, und drei mögliche Kraftwerksstandorte an der polnischen Ostseeküste wurden benannt. Mielno, Lubiatowo und Zarnowiec, wo bereits die Ruinen des letzten AKW Projektes aus den späten 80er Jahren bewundern werden können. Langsam aber stetig formiert sich der Protest vor Ort und überregional, und so fand vom 23.-29.7. das erste Anti AKW Camp in Lubiatowo statt.

Ziel war dabei vor allem der Austausch von Informationen und Erfahrungen auch auf internationaler Ebene. Neben den CamperInnen aus Polen nahmen auch AktivistInnen aus Bulgarien, der Ukraine, Rumänien, Russland, Deutschland, Tschechien und Japan am Camp teil. Doch nicht nur die geografische Herkunft der AktivistInnen war sehr weit gestreut, auch die politische Praxis der Teilnehmenden unterschied sich zum Teil deutlich. Neben den mitveranstaltenden AnarchistInnen von „Food not Bombs“ , die sich vor allem um die hervorragende Infrastruktur des Camps kümmerten, wurde das Camp stark von Greenpeace Polen geprägt und von der Heinrich Böllstiftung und EYFA (European Youth For Aktion) unterstützt. Auch viele der anderen Osteuropäischen TeilnehmerInnen kamen eher aus atomkritischen NGOs als aus Bewegungsinitiativen. Dies erklärt sich zum einen durch die schwierigen politischen Bedingungen in sehr autoritären Gesellschaften wie der Ukraine, Weisrussland und Russland. So konnte beispielsweise der russische Aktivist Andreij Ozharovsky seinen workshop nicht abhalten, weil er mit drei anderen am 18.7. bei der Übergabe einer Petition gegen einen geplanten Kraftwerksneubau in Weisrussland festgenommen und für 10 Tage inhaftiert wurde.

Zum anderen aber wurde die Umweltbewegung nach dem Fall der Mauer massiv von westlichen NGOs unterstütz, so dass diese Organisationsmodel auch heute noch sehr präsent ist. So gab es denn auch zahlreiche workshops die sich um Fundraising und „professionelle“ Anti-Atom-Arbeit drehten. Daneben stand aber auch ein anarchistischer Rückblick auf den ersten Atomkraftwerksbau in Zarnowice auf dem Programm. Als Außenstehendem mag es nahe liegen, an diesen Widerstand gegen das erneut in Zarnowice geplante Kraftwerk anzuschließen, aber der Impuls dort Widerstand zu leisten, war für die meisten am Wiederstand beteiligten vor allem DAS Prestigeobjekt des verhassten Regimes Jaruzelski zu verhindern, und weniger der Kampf gegen die atomare Bedrohung durch das Kraftwerk. Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, und dreißig Jahre nach den Kämpfen der Solidarność an der Danziger Leninwerft, haben sich die meisten BewohnerInnen der Region ins Private zurückgezogen und kaum mehr Interesse an Politik. Hinzu kommt, daß die Region um die geplanten Kraftwerke traditionell strukturschwach und eher Konservativ-katholisch geprägt ist, Voraussetzungen die ja auch bei den Standortentscheidungen für Gorleben und Wackersdorf ausschlaggebend waren.

Bei einer eindrucksvollen Exkursion konnten die TeilnehmerInnen die gigantischen Ruinen dieses niemals fertiggestellten AKWs besichtigen. Es bleibt zu hoffen das auch die aktuellen Pläne in Zarnowice ein AKW zu errichten nicht weiter gedeihen als vor 20 Jahren.

Im Laufe der internationalen workshops mit Berichten zum Stand der Atomprojekten in den verschiedenen Osteuropäischen Ländern wurde deutlich, dass sich die Argumente der Energiekonzerne wie CEZ (Tschechien) oder PGE (Polen) weitgehend ähneln. Atomkraft wird dabei als günstige und CO2 arme Energiequelle gepriesen, die beim Kauf westlicher Anlagen die Abhängigkeit von russischen Rohstofflieferungen zu verringern mag, ein Argument, dass in der polnischen Debatte, aber auch in Tschechien und in den baltischen Republiken eine wichtige Rolle spielt. Die Schilderung des ruppigen Auftretens russischer Atommanager beim Kauf von Land in Bulgarien machte dabei deutlich das es sich dabei nicht nur um ein antikommunistische Ressentiment handelt. Manager von Atomstroyexport waren dort in schwarzen SUV Limousinen vorgefahren, aus denen zunächst schwer bewaffnete Bodygards ausstiegen, bevor die Herren im Anzug herauskamen, und dies sicherlich nicht aus Angst vor bulgarischen AtomkraftgegnerInnen sondern zur Einschüchterung der VerhandlungspartnerInnen. Bodygards brauchte schließlich auch Albena Simeonova, die als entschiedene und international bekannte Gegnerin des in Belene geplanten AKW mehrere ernst zu nehmende Morddrohungen erhielt.

Dem Argument der günstigen Stromproduktion durch AKW hielten die Bulgarischen AktivistInnen das aktuelle Scheitern des Kraftwerksprojektes in Belene entgegen, das nach fast 10jähriger Planungszeit mehr als 10 Milliarden Euro kosten sollte, was letztlich das Parlament bewog das Projekt zu beenden obwohl bereits über 1 Milliarde Euro ausgegeben waren.

Interessanterweise werden zahlreiche Projekte, in Tschechien (Temelin 3+4), Polen, Russland (Kaliningrad), Litauen und der Ukraine (Riwne) damit begründet, die durch den Atomausstieg in Deutschland entstehende Energieknappheit lukrativ auffangen zu können. Dass es eine solche Stromlücke in Deutschland gar nicht gibt, wurde von den TeilnehmerInnen aus Osteuropa interessiert zur Kenntnis genommen.

Am letzten Abend des Camps fand als Höhepunkt die feierliche Gründung eines Bündnisses der Anti-Atom-Initiativen von Mielno, Lubiatowo und Zarnowiec statt, die sich vor allem dabei unterstützen wollen, der massiven Propaganda der Betreiberfirma und der Regierung entgegen zu treten, und sich für „Energiedemokratie“ einsetzen. Noch sind keine konkreten Baupläne auf dem Tisch, aber bereits jetzt bekam die Feuerwehr von Lubiatowo ein schickes neues Fahrzeug, und kostenlose Urlaube in Spanien wurden Interessierten ermöglicht, bei denen durch einen Besuch in einem küstennahen AKW die Furcht vor dem Ausbleiben von TouristInnen entgegen gewirkt werden sollte. Um der geballten Finanzmacht von PGE und der polnischen Regierung stand zu halten wird es neben der Solidarität zwischen den Standortinitiativen auch eine stärkere Mobilisierung in den Städten und auf internationaler Ebene geben müssen. Für die meisten polnischen Anarchistischen Gruppen stehen jedenfalls die Themen Antifa und die Verteidigung von Hausprojekten klar im Vordergrund.

Ein erster Schritt dazu das Thema auch in der polnischen Linken zum Thema zu machen mag das Camp gewesen sein. Darüber hinaus konnten auch immer wieder TouristInnen dazu brachte, die ausliegenden Infoblätter zu lesen und für eine Reihe von AnwohnerInnen Raum für erste Debatten eröffnet werden. Auch die lokalen Medien berichteten ausführlich über das Camp, zur kleinen Abschlussdemonstration mit rund 100 TeilnehmerInnen in Danzig waren gar Kamerateams angereist.

Von deutscher Seite aus kann mensch aktuell kaum mehr tun als sich zu informieren und polnische Gruppen zum Informationsaustausch einzuladen. Welche Aktionsformen sich vor Ort entwickeln werden, und wie mensch sich dabei einbringen kann werden die nächsten Jahre zeigen. Bevor jedoch von deutscher Seite aus schlaue Ratschläge erteilt werden, sollte mensch sich klar machen, dass in der BRD aktuell noch 9 AKWs laufen, in Polen jedoch keins.

Der Text erschien zuerst in der ak 574 vom 17.8.2012.


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