Atommüll ohne Ende
Posted: Mai 8th, 2013 | Author: aabhh | Filed under: Home, Texte | Tags: Atomprogramm, Diskurs, Endlager, Textreihe | Kommentare deaktiviert für Atommüll ohne EndeZur Notwendigkeit von Wortklauberei als Intervention
„Die Endlagerfrage ist das letzte Relikt des Großkonflikts Kernkraft. Der Atomausstieg ist beschlossen. Doch ohne Einigung für eine Ruhestätte für den AKW-Müll ist die Energiewende nicht komplett.
Financial Times Deutschland, 6.8.2012
Im Sommer 2011 entschied die schwarzgelbe Bundesregierung acht Atomkraftwerke stillzulegen. Sie löste damit zwei politische Probleme. Zum einen nahm sie der „Nach-Fukushima-Anti-AKW-Bewegung“, die sich vor allem gegen das GAU-Risiko von AKW richtete, die Spitze. Zum anderen befriedete sie die parlamentarische Opposition, insbesondere die Grünen.
Stand der Bewegung: Verschiebung der Auseinandersetzung
Mit dem heftigen Widerstand gegen den Castortransport nach Gorleben 2011 wurde jedoch deutlich, dass das „Endlagerproblem“ in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch eine offene Flanke der Atomindustrie und der sie vertretenden Parteien darstellt. Der Anti-Castor-Widerstand fand erneut einen vorläufigen Höhepunkt. Nun, da bis etwa 2015 keine weiteren Transporte nach Gorleben stattfinden werden, ist an den Gleisen und in den Wäldern erst einmal Pause. Damit bricht eine sich seit 2008 überaus dynamisch und erfolgreich entwickelnde Bewegungsphase zwar jäh ab, der Konflikt um den Betrieb der Atomanlagen setzt jedoch nicht aus, im Gegenteil. Von Seiten der Atomindustrie und der Parteien wird mit Hochdruck an einer „Entsorgung“ des „Endlagerproblems“ gearbeitet, denn mit einem Konsens in dieser Frage, so Jürgen Trittin gegenüber dem Spiegel am 11.11.2011, sei „der letzte große Streitpunkt in der Atompolitik beseitigt.“ Die Auseinandersetzung verschiebt sich also zeitweise von der Straße auf den Diskurs um das „Endlager“.
Der „Endlager-Diskurs“: Mehr als nur Gerede
Reden wird nicht selten als harmlosere Alternative zum Handeln empfunden. Doch das Reden über den Umgang mit Atommüll im aktuellen „Endlager-Diskurs“ ist eine zentrale Plattform der politischen Auseinandersetzung. Die große Wirkung von Diskursen [siehe Zum Begriff Diskurs nach Foucault] wird hier beispielhaft deutlich. Durch das Reden über ein „Endlager“ wird die Idee eines „Endlagers“ entwickelt, verbreitet und verankert. Jedes Mal, wenn der Begriff benutzt wird, gewinnt die Position, es könne einen abschließenden Umgang mit dem nuklearen Erbe überhaupt geben, an Normalität. In 24.110 Jahren wird die Radioaktivität des in den Castorbehältern eingeschlossenen Plutoniums 239 um die Hälfte abgeklungen sein. Im Vergleich ist das ein Klacks: Uran 235 – unabdingbar beim Betrieb von Atomanlagen – halbiert sein Gefahrenpotenzial beispielsweise erst in 703.800.000 Jahren. Allerdings: Auch in 24.000 Jahren verändert sich die Welt dramatisch. Plutonium, wäre es angefallen während die letzte Eiszeit gerade auf ihrem Höhepunkt und Großbritannien noch zu Fuß zu erreichen war, wäre auch heute noch ein tödlich strahlender Stoff. Es ist glasklar: Das Ende der Gefährdung durch Radionukleide ist in Zeiträumen menschlichen Ermessens schlechterdings nicht erreichbar.
Der Begriff „Endlager“, so häufig, geläufig und unhinterfragt wie wenige zum Thema Atomenergie, suggeriert allerdings das genaue Gegenteil. Das „Endlager“ wird als Ort beschrieben, an dem sich die radioaktiven Hinterlassenschaften der Atomanlagen und mit ihnen das gesamte Problem für die „Ewigkeit“ wegschließen lassen. Und auch wenn die dramatischen Zustände in der Asse zeigen, dass „Ewigkeiten“ mitunter nicht länger als 40 Jahre dauern: Die Verheißung des Begriffs verfängt in der öffentlichen Wahrnehmung auf bemerkenswerte Weise. Warum?
Die Verheißung der Lösbarkeit
Ein Grund könnte es sein, dass in dieser naturwissenschaftlich-technisch geprägten Gesellschaft die Unlösbarkeit eines existierenden Problems undenkbar ist. Spätestens seitdem „wir zum Mond fliegen“ ist der Wunsch, die Natur nicht nur zu verstehen, sondern sie zu beherrschen, gesellschaftlich immanent. Mit den „richtigen“ Expert_innen, viel Engagement und einer guten Finanzierung scheint alles machbar zu sein. Jedes Scheitern wird Mängeln an diesen Punkten zugeschrieben, nicht der Unlösbarkeit des Problems selbst. Auch Anti-Atom-Initiativen argumentieren bisweilen in diesem Spannungsfeld und stellen die technische Machbarkeit nicht grundsätzlich in Frage.
Eine andere Erklärung für die Popularität des Begriffs ist, dass er an dem Wunsch der Menschen ansetzt, sich das Problem vom Hals zu schaffen. Das Bedürfnis nach „Ent-sorgung“, einem „Sich-der Sorge-entledigen“ ist angesichts der beschriebenen Zeiträume und Gefahren riesig und es wächst mit der Menge des besorgniserregenden Materials. Denn dass ein reales materielles Problem existiert, kann nicht geleugnet werden, und wie weitgreifend dieses Problem in zeitlicher Dimension ist, überschreitet das menschliche Vorstellungsvermögen. Diese hässliche Tatsache kann zuweilen nur ertragen werden, wenn sie aus dem alltäglichen Leben verdrängt wird, auch wenn dieser psychische Mechanismus der Illusion des rationalen Subjekts widerspricht. Grundsätzlich jedoch herrscht ein Bewusstsein darüber, dass das Problem existiert. An diesem Punkt setzt der Begriff „Endlager“ an, der Lösbarkeit verspricht. Wider besseren Wissens wird seine Verheißung dann gerne geglaubt, weil unlösbare Probleme in diesem Ausmaß vor allem zu Ohn machtsgefühlen führen. Es gilt für die Anti-Akw-Bewegung, diese Gefühle ernst zu nehmen, sich dabei aber von ihnen nicht be-stimmen zu lassen, sondern Handlungsfähigkeit zu entwickeln, die zu Widerstand gegen die Atomenergie führt. Dazu gehört es einerseits, das Reden über ein „Endlager“ von Seiten der Verantwortlichen als eine Diskursintervention von oben zu kritisieren und andererseits die Unmöglichkeit, sich des „nuklearen Erbes“ zu entledigen, wieder verstärkt ins Bewusstsein zu rücken und damit auf gegenteilige Weise selbst in den Diskurs einzugreifen.
Weitere Interventionsmöglichkeiten
- 1. Diskurse wie der oben beschriebene „Endlager-Diskurs“ sind von Leitbegriffen geprägt, die häufig die zentralen Prämissen transportieren. Neben dem Begriff „Endlager“, sind hier die „weiße Landkarte“ und der „beste Standort“ zu nennen. Durch das Offenlegen der hinter diesen Begriffen liegenden Interessen und Strukturen kann versucht werden, diese Begriffe oder auch den ganzen Diskurs zu dekonstruieren.
- 2. In einem Diskurs treffen verschiedene „Wissensbestände“ aufeinander. Beispielsweise die Begriffswelt universitärer Geologen auf die Erzählungen der Betroffenen vor Ort. Wissensbestände sind dabei zusammenhängende Wissensgebäude, die in einer ihr meist eigenen Sprache verschiedene Erkenntnisse schlüssig aufeinander beziehen. Dabei können die verschiedensten Wissensbestände im Alltag sehr unvermittelt nebeneinander stehen, was häufig als Aneinander vorbeireden empfunden wird. („Ich rede davon, dass wir seit fünf Generationen diesen Hof bewirtschaften, und der kommt mit Deckgebirge.“) Die verschiedenen Wissensbestände werden in einem Diskurs in ein meist hierarchisches Verhältnis zueinander gestellt. Bei der Suche nach einem „Endlager“ wird den Aussagen von betroffenen Anwohner_innen z.B. weniger Wert beigemessen als den Aussagen des wissenschaftlichen Wissensbestands. Das dient häufig der Verschleierung der politischen Motivationen. Eine mögliche Intervention kann nun darin bestehen, einen sehr zentralen Wissensbestand zu „entwerten“. Am Beispiel Gorleben hat Greenpeace dies mit nachhaltiger Wirkung aufgezeigt. Die hartnäckige Offenlegung der politischen Absichten in diesem Fall führte dazu, dass heute allen Beteiligten die geringe Wissenschaftlichkeit der Entscheidung für Gorleben bewusst ist – ein zentraler Wissensbestand wurde für diesen Standort entwertet, eine Lüge entlarvt.
- 3. Neben den Eingriffen in die Diskurse gilt es selbstverständlich weiterhin, zu versuchen die alltägliche Praxis in der „Endlagersuche“ zu skandalisieren, wie es ja sehr drastisch für die Asse erfolgt ist.
- 4. Wer sich in Beteiligungsverfahren „einbinden“ lässt, ist bereits gefangen im Verfahren. Die Erkenntnisse aus den Beteiligungsverfahren der vergangenen Jahre lassen nicht vermuten, dass dies im Endlagersuchverfahren anders sein könnte. Oder, wie ein Aktivist von der AG Schacht Konrad es formulierte: “Nach den Erfahrungen in der Asse, Morsleben und Gorleben, gibt es überhaupt keinen Grund der Regierung zu vertrauen.“ Eine Teilnahme an Beteiligungsverfahren kann jedoch den taktischen Sinn haben, das laufende Verfahren zu dekonstruieren (s.o.) und Gehör für die eigene Kritik zu finden. Darüber hinaus sind Beteiligungsverfahren oft auch Chancen, an Informationen zu kommen, die ansonsten den Augen der Öffentlichkeit verborgen bleiben.
Der ganze Flyer als pdf