Ene, mene, muh und das zahlst Du!

Posted: August 7th, 2011 | Author: | Filed under: Home, Texte | Tags: , | Kommentare deaktiviert für Ene, mene, muh und das zahlst Du!

Über die Externalisierung von Kosten und Gefahren in Zeit und Raum

Am 26. März 1971 nahm der Block 1 des AKW Fukushima seinen kommerziellen Betrieb auf, und es fehlten nur wenige Tage bis zum 40ten Jubiläum, als die Anlage am 11. März 2011 havarierte. Ohne den Störfall hätte die Betreibergesellschaft Tepco (Tokyo Electric Power Company) im Frühjahr 2011 guten Grund zum Feiern gehabt, denn vierzig Jahre produzierte diese Anlage neben Strom und Atommüll vor allem Gewinne für Japans größten Energieerzeuger.

Doch am 11.3.2011 endete abrupt die Zeit der Gewinne. Mit dem Mehrfach-Gau trat ein Schadensereignis ein, dass alle jemals realisierten Gewinne Tepcos in den Schatten stellte. Im Gegensatz zu den Gewinnen, die Tepco immer zu Gunsten der Aktionäre zu nutzen wusste, treffen die Schäden nun vor allem die Allgemeinheit.

Da sind zum einen die fast 200.000 Menschen (Stand Mitte April 2011), die ihr Zuhause, ihren Lebensmittelpunkt und den größten Teil ihrer ökonomischen Basis verloren haben. Da sind zum anderen die Tausenden von Helfer_innen von Armee, Katastrophenschutz und Feuerwehr, die nun die Folgen des GAU begrenzen sollen. Und da ist nicht zuletzt der japanische Staat, der Tepco zumindest in Teilen verstaatlichen wird, um die Situation in den Griff zu bekommen. Im Gegensatz zu den Gewinnen, die über vierzig Jahre privatisiert wurden, werden nun die Kosten der Allgemeinheit aufgenötigt.

Kapitalistischer Normalbetrieb

Dieser Vorgang, die sog. Externalisierung von Kosten und Gefahren, hat Methode und gehört zu den grundlegenden Merkmalen der sog. „Marktwirtschaft“ (Kapitalismus). Er tritt bei einer Havarie zwar überdeutlich hervor, prägt aber auch schon den Normalbetrieb der Atomanlagen und der gesamten Ökonomie. Dass private Firmen mit vermeintlich billigem Atomstrom Gewinne machen, setzt zunächst voraus, dass die Allgemeinheit bereits Unsummen in Forschung und Infrastruktur investiert hat. Neben den zahlreichen staatlichen Kernforschungszentren (z.B. Geesthacht, Karlsruhe, Jülich) wurde bereits 1957 der EURATOM Vertrag geschlossen, durch den der „Kernforschung“ jährlich hunderte Millionen von Euros zufließen.

Subventioniert von Anfang an

Allein für die Jahre 2011–12 stehen nach Angaben der EU-Kommission Mittel in Höhe von insgesamt 2200 Mio. Euro zur Verfügung. Darüber hinaus errichtet der Staat, wie bereits von Robert Jungk („Der Atomstaat“) eindrucksvoll beschrieben, eine umfangreiche Sicherheitsinfrastruktur, um die Atomanlagen zu schützen und den Widerstand gegen sie zu bekämpfen. Mit 33,5 Millionen Euro schlug alleine der Schutz des Castortransportes 2010 zu Buche. Doch die horrenden Kosten und Folgen des Betriebs von Atomanlagen werden nicht nur innerhalb unserer Gesellschaft sozialisiert. Sie treffen vor allem Menschen in anderen Gesellschaften und zukünftige Generationen.

Externalisierung im Raum…

Weltweit betreiben nur 30 von 193 Ländern AKW, und nur rund die Hälfte dieser Länder betreibt mehr als fünf AKW – in der BRD sind es zur Zeit neun. Das Uran für den Betrieb dieser Atomanlagen stammt hingegen weitgehend aus Ländern und Regionen, die keine AKW besitzen (Namibia, Australien, Niger). Oder es kommt aus Regionen, in denen nur durch ein binnenkoloniales1 Verhältnis das Uran abgebaut werden kann (Kanada, USA) bzw. extrem autoritäre Systeme herrschen, wie in Kasachstan und Usbekistan, in denen die Belange der lokalen Bevölkerung kaum Gewicht haben. So werden für den Betrieb eines AKW mit einer Leistung von 1000 MW jährlich rund 30 Tonnen angereichertes Uran benötigt. Dieser ver­gleichsweise geringen Menge stehen etwa 100.000t feste und 200.000t flüssige Abfälle gegenüber, die bei der Gewinnung des Urans vor Ort anfallen.

Um an das begehrte Uran zu gelangen, muss das Uranerz zunächst zermahlen und schließlich mit Chemikalien gelöst werden. Die dazu benötigten Wassermengen stellen gerade in den wüstenartigen Abbaugebieten, wie dem Niger, Namibia oder Australien ein großes ökologisches Problem dar. Rund 85% der ursprünglichen Radioaktivität verbleibt dabei in den Schlämmen und Absetzbecken (tailings). Dabei gibt es ähnlich wie bei der Endlagerproblematik auch für die „schadfreie Versiegelung“ der Halden und Schlämme für viele tausend Jahre kein schlüssiges Konzept, das ein Ausgasen von Radon oder das Versickern und Verwehen anderer radioaktiver Substanzen verhindern würde.

Die vorläufige Sanierung des Uranabbaus der ehemaligen DDR hat bis heute bereits 7 Milliarden Euro gekostet. Ein Aufwand, der im Niger oder in Namibia schlicht weg finanziell nicht zu stemmen wäre. Daneben sind auch große Mengen Arsen, Blei und Quecksilber in den Schlämmen zu finden. In den USA besitzt man die wenn auch zynische Ehrlichkeit, diese Gebiete als „national sacrifice area“ (nationale Opfer Gebiete) einzustufen. Gebiete also, deren Wiederherstellung nur mit einem „gesellschaftlich nicht vertretbaren Aufwand“ zu gewährleisten wäre, wenn überhaupt.

Das Beispiel Niger zeugt noch heute von der kolonialen Prägung der gesamten Urangewinnung. Die Ökonomie des Niger, eines der ärmsten Länder der Welt, hing in den 80er Jahren zu rund 90% vom Uranabbau ab. Niger, eine ehemalige französische Kolonie, wäre ohne französische Techniker_innen nicht in der Lage, diese Rohstoffgewinnung zu betreiben. Ein Großteil der eingenommenen Devisen muss jedoch für die Tilgung der für den Aufbau des Uranabbaus aufgenommenen Kredite aufgewendet werden. Da es im Niger keinerlei Verwendung für das abgebaute Uran gibt, kann hier mit Fug und Recht von Neokolonialismus gesprochen werden, einem System, das dazu führt, dass eine ganze Gesellschaft, eine ganze Ökonomie in die Diensten einer (europäischen) Macht genommen wird.

Überall dort, wo Uran abgebaut wird, leisten Menschen Widerstand gegen die schleichende Verseuchung ihrer Lebensgrundlagen. In Kanada blockierten Cree und Dené die Zufahrtstraßen von Uranminen, in Australien formierte sich ein breites Aktionsbündnis gegen die Jabiluka-Mine und in Namibia versuchen sich Uranminenarbeiter_innen rechtlich gegen die Betreiber zur Wehr zu setzen.

Externalisierung in der Zeit

Neben der Belastung anderer Gesellschaften führt der Betrieb von Atomanlagen auch zu einer Belastung zukünftiger Generationen. Ohne in den „Genuss“ des Atomstroms zu kommen, wird es einen enormen Aufwand für zukünftige Generationen bedeuten, den strahlenden Müll zu bewachen und, wenn nötig, umzubetten, sollten sich unsere „Endlagerkonzepte“ als unzureichend erweisen.

Dass diese Problematik keinesfalls hypothetisch ist, zeigen die Vorgänge in der Asse. Kaum jemand, der die Einlagerung dort in den 60er und 70er Jahren entschieden und betrieben hat, ist heute noch am Leben. Und obwohl die meisten heute in der BRD Lebenden keinen „Vorteil“ in Form eines Stromkonsums durch die dort lagernden 126.000 Fässer Atommüll hatten, werden wir doch die mindestens 2 Milliarden teure Rückholung und Umbettung des Mülls bezahlen müssen.

Die Externalisierung von Folgen und Kosten in der Zeit findet sich aber nicht nur im Bereich der Atomkraft, sondern auch fast deckungsgleich bei anderen Energieträgern wie z.B. bei Öl oder Kohle (CO2) statt. Auch die Folgen des sich durch den CO2 Ausstoß in Zukunft drastisch ändernden Klimas wird die Gesellschaften im Süden, vor allem aber zukünftige Generationen wesentlich heftiger treffen als jene, die mit der Ölförderung ihr Geld gemacht haben. Im besten Fall wird dies bedeuten, sich auf immer häufigere Extremwetterlagen einstellen zu müssen. Viele werden aber ihren Wohnort und ihr soziales Umfeld verlassen müssen, um unter schlechteren Bedingungen eine Zukunftsperspektive im Norden zu suchen.

Wir wollen nicht dasselbe in „Grün“

Der Mechanismus der Externalisierung von Folgen und Kosten wird durch die Marktkräfte in Gang gesetzt. Es ist also nicht eine moralische Entscheidung des Tepco-Managements Gewinne zu machen und die Kosten der japanischen Gesellschaft aufzudrücken, wie sie es getan haben. Sie wären ansonsten als Management gescheitert und abgelöst worden. Wenn wir für eine Gesellschaft streiten, in der Atomanlagen nicht möglich sind, sollten wir aus Fukushima und dem „Normalbetrieb der Atomanlagen“ lernen, dass sie keine kapitalistische sein kann, in der die ungleiche Verteilung von Kosten / Folgen und Nutzen ein wirtschaftliches und damit ein gesellschaftliches Grundprinzip darstellt.

1 Ein binnenkoloniales Verhältnis beschreibt im Gegensatz zum Kolonialismus zwischen Ländern des Nordens und des Südens bsp. Deutschland / Tansania, die koloniale Beziehung zweier Gesellschaften in den Grenzen eines Staates. Ein Beispiel ist das Verhältnis zwischen den First Nations und europäischen Einwander_innen in den USA und Kanada. Ein weiteres wären die Mirrar und europäischen Einwander_innen in Australien oder in Indien auf dem Land der Adivasi.

Weiterlesen

www.wise-uranium.org

Weiterschauen

Australien: „uranium is it a country?“ bei strahlendesklima.de und „yellow cake“ bei www.yellowcake-derfilm.de

Zum Niger „Arlit, deuxième Paris“ von Idrissou Mora-Kpai

Widerstand

Indien: www.jadugoda.net
Australien: www.mirarr.net
UK: www.corecumbria.co.uk

Uranabbau

Malawi: www.falea21.org/spip.php?rubrique14
Namibia: iaknamibia2010.blogsport.de
Weltweit: www.uranium-network.org

Der ganze Flyer als pdf


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