Wie die britische Gesellschaft sich immer mal wieder eine Atomindustrie leistet

Posted: August 7th, 2011 | Author: | Filed under: Home, Texte | Tags: | Kommentare deaktiviert für Wie die britische Gesellschaft sich immer mal wieder eine Atomindustrie leistet

Am Anfang stand die Bombe und das britische Atomwaffenprogramm. Um das Plutonium für die britische Atommacht zu produzieren, wurden Anfang der 50er Jahre die ersten Reaktoren in Windscale gebaut. Eine zweite Generation dieser MAGNOX Reaktoren erzeugte dann schon so viel Strom, dass er ins öffentliche Netz eingespeist werden konnte. Und schließlich wurden mit den AGR (advanced gascooled reaktor) Reaktoren Anlagen ans Netz gebracht, die rund 20% des britischen Strombedarfes erzeugten.

Aus der militärischen Geschichte der britischen Atomanlagen erklärt sich, weshalb sie bis Mitte der 90er Jahre in öffentlicher Hand blieben. Doch Ende der 80er Jahre trieb Magret Thatcher, als Speerspitze der neoliberalen „Revolution“ die Privatisierung des gesamten öffentlichen Bereiches mit Vehemenz voran. Nach dem Wasser und der Eisenbahn, der Telekommunikation und der Post sollte nun auch der Energiebereich mit seinen rund 115 Kraftwerken und der dazugehörigen Infrastruktur privatisiert werden. Das böse Erwachen kam, als der Marktwert der Anlagen ermittelt werden sollte. Noch 1989 musste der damalige Wirtschaftsminister alle AKW aus dem Paket nehmen, da diese offensichtlich „unverkäuflich“ seien. Die Financial Times sprach angesichts der Kosten des Einstiegs in die Nukleartechnologie als dem kostspieligsten Fehler der britischen Industriegeschichte (Der Spiegel 2/1990). Von den 33 britischen AKW wurden letztlich 1996 nur die acht neuesten unter dem Namen British Energy an die Börse gebracht. Für die übrigen maroden MAGNOX Reaktoren durfte weiterhin der britische Staat aufkommen. Der Großteil der Kosten blieb also vergesellschaftet, und mit den „Sahnestücken“ durften Aktienbesitzer_innen Gewinne machen.

Mit den Gewinnen war es jedoch auf Grund von Störfällen und sinkenden Strompreisen bald vorbei. Schon im September 2002 musste der britische Staat mit rund 1 Milliarde Euro einspringen, um die laufenden Gehälter bezahlen zu können. Nachdem der Aktienkurs von 741 Pence im Jahr 1999 auf 3 Pence im Jahr 2004 eingebrochen war, sah sich die britische Regierung abermals gezwungen zu handeln.

Nach der Privatisierung 1996 stieg der Staat 2004 erneut mit 35% bei British Energy ein, was von den Finanzbehörden als quasi Re-verstaatlichung bezeichnet wurde. Neben dem Aktienpaket übernahm der britische Staat auch die Abbruch- und Entsorgungskosten der acht AKW von rund 6 Milliarden Euro. Doch damit ist die Sozialisierungsspirale der Kosten noch nicht zu Ende. 2009 wurde der britische Staat British Energy endlich wieder los und verkaufte die verbliebenen acht AKW (nach vorhergehender Laufzeitverlängerung von zehn Jahren) an die Électricité de France den französischen EX-Staatskonzern, der an vier Standorten neue französische Reaktoren durch AREVA bauen lassen will. Nachdem fast alle Kosten der 33 britischen AKW an der britischen Gesellschaft hängen geblieben sind, wird der Rest der maroden AGR Reaktoren nun von einem gerade privatisierten Staatskonzern übernommen.

Letztlich bleibt die Erkenntnis, dass die Kosten des Betriebs von Atomanlagen (Uranabbau, Betrieb von Anlagen, Entsorgung und GAU-Folgen) immer über Steuern und Subventionen sozialisiert werden und die Gewinne bei den Aktienbesitzer_innen bleiben – seien es TEPCO, British Energy, Électricité de France oder RWE.

Ergänzung zu ene-mene-muh-und-das-zahlst-du Der ganze Flyer als pdf


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